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Juli 2021 / INVESTMENT INSIGHTS

EM-Aktien: Wie Anleger die „Dreifachprämie“ nutzen können

Für eine strategische Allokation in Schwellenländeraktien gibt es gute Gründe.

Yoram Lustig, Head of Multi-Asset Solutions, EMEA, erläutert in diesem Q&A-Kurzinterview, warum Anleger eine strategische Allokation in Schwellenländeraktien in Betracht ziehen sollten. Zudem erklärt er, welche Vorteile ein aktives Management in diesem zunehmend vielfältigen Anlageuniversum bietet.

Ein wesentliches Argument, das für Schwellenländeraktien spricht, sehe ich (...) ganz einfach in den Renditeerwartungen ...

Wenn Sie einen Hauptgrund nennen müssten, warum Anleger heute in Schwellenländeraktien investieren sollten, welcher wäre das?

Die Schwellenländer sind heute wegen einer Vielzahl an Faktoren attraktiv. Daher ist es schwierig, nur einen Grund hervorzuheben. Ein wesentliches Argument, das für Schwellenländeraktien spricht, sehe ich ganz einfach in den Renditeerwartungen für die kommenden fünf Jahre. Den Kapitalmarktannahmen von T. Rowe Price zufolge erwarten wir, dass Aktien der Schwellenländer in den nächsten fünf Jahren eine jährliche Rendite von 7,2 Prozent abwerfen – gegenüber 5,3 Prozent an den Börsen der Industrieländer. Auf den ersten Blick mag eine Mehrrendite von knapp 2 Prozent nicht sonderlich viel erscheinen – wenn man jedoch die bekannten Zinseszinseffekte berücksichtigt, ergibt sich ein anderes Bild. Wir ermutigen die Anleger auf jeden Fall, Schwellenländeraktien in ein diversifiziertes Portfolio zu integrieren.

Welchen Anteil sollten die Schwellenmärkte in einem Aktienportfolio ausmachen?

Im MSCI All Country World Index*, der weithin als Referenzwert für die Zusammenstellung globaler Aktienportfolios gilt, beträgt der Anteil von Schwellenländeraktien derzeit etwa 12 Prozent. Während das Multi-Asset-Team von T. Rowe Price aktuell in Schwellenländeraktien übergewichtet ist, könnten die Anleger den MSCI All Country World Index als Ausgangspunkt nehmen, um die Allokation zu bestimmen. Dabei ist wichtig, dass die Börsen in den Schwellenländern immer noch deutlich weniger effizient sind als in den Industrieländern und weiterhin eine relativ hohe Volatilität aufweisen dürften. Für erfahrene aktive Manager eröffnen sich dadurch erhebliche Renditepotenziale.

Wie schätzen Sie China ein, die größte Volkswirtschaft der Schwellenländer und die zweitgrößte der Welt?

Tatsächlich ist China derzeit die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Doch das wird nicht mehr lange der Fall sein, denn China dürfte die USA aller Wahrscheinlichkeit nach noch in diesem Jahrzehnt überholen. China zeigt besondere Stärke bei der Bewältigung der Pandemie, und wir gehen davon aus, dass sich der seit zehn Jahren andauernde wirtschaftliche, soziale und finanzielle Umbruch des Landes in den nächsten Jahren weiter beschleunigen wird. Doch auch wenn der chinesische Drache weiter aufsteigen wird, wird seine Flugbahn keinesfalls geradlinig sein. Zwar hat der verbale Schlagabtausch zwischen den USA und China seit der Abwahl von Donald Trump klar an Schärfe verloren. Dennoch sind die Handelsspannungen damit nicht vom Tisch, und sie könnten an den Finanzmärkten weitere Volatilitätsschübe auslösen. Die chinesischen Aufsichtsbehörden gehen außerdem immer strenger gegen die inländischen Techgiganten vor – die sich weitgehend im Besitz ausländischer Investoren befinden.

Wie wichtig ist China für Anleger, die in Schwellenländeraktien investieren?

Derzeit besteht eine enorme Diskrepanz zwischen der Größe der chinesischen Wirtschaft und ihrer Gewichtung in den globalen Aktienindizes. Während US-Aktien heute etwa 58 Prozent des MSCI All Country World Index ausmachen, beträgt die Gewichtung Chinas nicht einmal 5 Prozent. China entwickelt sich mit Volldampf weiter und wird das globale wirtschaftliche und geopolitische Gefüge in den kommenden Jahrzehnten dominieren. Auf der anderen Seite herrscht an den chinesischen Kapitalmärkten erheblicher Nachholbedarf. Nichtsdestotrotz gibt es viele Bereiche, in denen der chinesische Aktienmarkt heute interessante Chancen bietet, um Alpha zu generieren. Beispiele dafür sind der aufstrebende Mittelstand, die steigenden Ausgaben für das Gesundheitswesen, die anhaltende Führungsrolle bei technologischen Innovationen und die ambitionierten Schritte zur Förderung der Nachhaltigkeit.

Die Schwellenländer [könnten] an der Schwelle zu einem Jahrzehnt mit sinkenden Zinsen stehen ...

Wie schätzen Sie die künftige Geldpolitik in den Schwellenländern und deren Folgen für die Aktienmärkte ein?

Ein Blick auf die Märkte der Industrieländer zeigt, dass die Geldpolitik einen wesentlichen Beitrag zur Risikorally seit der globalen Finanzkrise geleistet hat. Während die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank, aber auch viele andere Währungshüter in den Industrieländern, das historisch niedrige Zinsniveau beibehalten haben, liegen die Zinssätze in den Schwellenländern immer noch bei 4 bis 5 Prozent. Indes ist die Inflation heute in den Schwellenländern kein Thema mehr, sodass in den kommenden Jahren Spielraum für nachhaltige Zinssenkungen besteht. In der Tat könnten die Schwellenländer an der Schwelle zu einem Jahrzehnt mit sinkenden Zinsen stehen, was – ähnlich wie im Westen – den Aktienmärkten erheblichen Auftrieb verschaffen würde.

Unsere Analysten haben langjährige Erfahrung darin, wirklich überzeugende Chancen auf der richtigen Seite des Wandels zu identifizieren.

Sie haben das aktive Management angesprochen. Warum ist das gerade in den Schwellenländern so wichtig?

Die Börsen in den Schwellenländern sind deutlich weniger effizient als in den Industrieländern. Zugleich ist ihr Anlageuniversum wesentlich heterogener. So sind viele Volkswirtschaften Rohstoffimporteure, andere wiederum Exporteure. Eine Reihe von Ländern weisen starke High-Tech-Kompetenzen auf, während sich viele andere nach wie vor auf die verarbeitenden Basisindustrien konzentrieren. Aber auch in Bezug auf COVID-19 sind die Unterschiede erheblich. Während China die Pandemie weitgehend zurückgedrängt und bis dato mehr als eine Milliarde Impfdosen verabreicht hat, kämpfen Schwellenländer wie Indien und Brasilien wegen ihrer unzureichenden medizinischen Infrastruktur und des eingeschränkten Zugangs zu Impfstoffen mit verheerenden Folgen. Angesichts dieser unterschiedlichen Eigenschaften sowie der ebenso unterschiedlichen kurz- und langfristigen Aussichten sind gerade in den Schwellenländern eingehende Fundamentalanalysen durch kompetente Teams vor Ort unverzichtbar. Unsere Analysten haben langjährige Erfahrung darin, wirklich überzeugende Chancen auf der richtigen Seite des Wandels zu identifizieren.

Ist ESG ein wichtiger Faktor in den Schwellenländern?

Ja, definitiv! Auch hier bietet ein aktives Management erheblichen Mehrwert. Es gibt viele Beispiele für schlechte Unternehmensführung in den Schwellenländern, so etwa die zahlreichen Geschäftsmodelle mit undurchsichtigen Familienbesitzstrukturen. Die Anleger legen den Fokus immer stärker auf die ESG-Aspekte Umwelt und Gesellschaft, die in den Schwellenländern schon lange ein Thema sind. Dabei gibt es in Sachen Berichterstattung und Datenlage erhebliche Unterschiede in den einzelnen Schwellenländern, weshalb schädliche Praktiken von Screening-Tools mitunter schwer zu erkennen sind. Aktive Manager und engagierte Teams, die sich auf verantwortungsbewusstes Investieren konzentrieren, sind in der Lage, tiefere Analysen durchzuführen. Zudem können sie direkt darauf einwirken, dass die Unternehmen ihr Handeln und ihre Betriebsabläufe verbessern – was letztlich allen Beteiligten zugutekommt.

In Anlegerkreisen wird immer wieder heftig darüber diskutiert, ob Wachstumsaktien oder Substanzaktien die bessere Wahl sind. Wie schätzen Sie die „Value-Growth-Debatte“ mit Blick auf die Schwellenländer ein?

In den letzten Jahren haben sich die Anleger in den Schwellenländern vor allem auf schnell wachsende Wachstumswerte konzentriert. Paradebeispiele dafür sind die Tech-Giganten Alibaba und Tencent. Tatsächlich haben Growth-Aktien in den letzten zehn Jahren eine beachtliche Outperformance gegenüber Value-Aktien erzielt – nicht nur in den Schwellenländern. Dadurch hat sich eine Bewertungskluft aufgetan, wie ich sie in meiner ganzen Laufbahn nicht erlebt habe. Und der Ausbruch der Corona-Pandemie zu Jahresbeginn 2020 hat diese Entwicklung zusätzlich befeuert, da zyklisch sensitive Value-Aktien während der angeordneten Lockdowns in den meisten Teilen der Welt verständlicherweise unterdurchschnittlich abgeschnitten haben. Die überraschend schnelle Entwicklung wirksamer Impfstoffe hat Ende des letzten Jahres eine Trendwende bei Value-Aktien ausgelöst. Während sich die meisten Anleger in den Schwellenländern weitgehend auf eine kleine Gruppe hochwertiger Wachstumswerte konzentriert, plädieren wir bei T. Rowe Price schon lange für eine ausgewogenere Mischung aus Wachstums- und Substanzaktien. Wir glauben, dass die Anleger einen erheblichen Teil der Anlagepotenziale, die wir an den Börsen der Schwellenländer vorfinden, übersehen. Außerdem halten wir die Bewertungen vieler dieser „vergessenen“ Value-Aktien auch nach der jüngsten Rally in zyklischen Bereichen weiterhin für günstig, wenn man ihre erheblichen langfristigen Wachstumspotenziale bedenkt.

Welchen Tipp geben Sie Anlegern, die erwägen, in Schwellenländeraktien zu investieren oder ihre Positionierung zu erhöhen?

Die Schwellenländer bieten das, was ich gerne als „dreifache Prämie“ bezeichne: ein überlegenes Wirtschaftswachstum, eine jüngere Bevölkerung und einen sich beschleunigenden fundamentalen Wandel. Ich glaube, dass die Schwellenländer weiterhin als Motor des globalen Wachstums fungieren werden, und ich bin fest überzeugt, dass Anleger belohnt werden, wenn sie die vielen „verborgenen Juwelen“ an diesen Märkten aktiv unter die Lupe nehmen.

Wird sich die Geschichte in Bezug auf Value-Aktien in den Schwellenländern wiederholen?

Während Value-Aktien in den Industrieländern seit der Jahrtausendwende hinter Wachstumsaktien zurückgeblieben sind, haben sie in den Schwellenländern von 2000 bis 2010 deutlich besser abgeschnitten, was hauptsächlich auf die massiven Infrastrukturprogramme in China zurückzuführen war.

Angesichts der für 2050 bis 2060 gesetzten globalen Ziele in Bezug auf Kohlenstoffneutralität werden die traditionellen Industrien nun wieder durch höhere Ausgaben für Kupfer, Aluminium und Gas unterstützt werden. Dies gilt insbesondere für die Schwellenländer, wo keine erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen und für den Übergang von fossilen Energieträgern auf nachhaltige Energiequellen zunächst Gas benötigt wird. Zusammen mit einer Reihe von staatlichen Stützungsmaßnahmen, die direkt auf die Verbraucher abzielen, dürfte dies die jüngste Rally bei zyklischen Werten in den Schwellenländern weiter befeuern, weshalb sich in den Schwellenländern die Outperformance von Value-Aktien auch im kommenden Jahrzehnt fortsetzen könnte.

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