Oktober 2022 / MARKETS & ECONOMY
Der Sturm über den Finanzmärkten hat sich noch nicht gelegt
Der Inflationsdruck könnte jedoch nachlassen.
Die Situation ist weiterhin kompliziert, und die Trends, die das erste Halbjahr so herausfordernd gemacht haben, setzten sich im dritten Quartal weiter fort. Den Daten zufolge trüben sich die Wachstumsaussichten weiter ein und steht die Welt am Rande einer Rezession. Indessen herrscht bei den Zentralbanken Konsens, dass es jetzt existenziell wichtig ist, die Inflation einzudämmen.
Der geldpolitische Kurs lautet daher jetzt „maximale Straffung“. Die Kombination aus restriktiver Geldpolitik und düsteren Wachstumsaussichten hat an den Finanzmärkten einen Sturm entfacht, der ausnahmslos über alles hinwegfegt. So haben sämtliche wichtigen Anlageklassen in diesem Jahr hohe Verluste erlitten. Doch wie geht es im vierten Quartal weiter? Obwohl sich einige Details verändern, dürfte sich die „Großwetterlage“ im Großen und Ganzen fortsetzen.
Die Wachstumsherausforderungen sind langfristiger Natur
Die globale Wirtschaft erlebte zuletzt gleich mehrere Schocks, die das Wachstum noch einige Zeit – in manchen Fällen vielleicht sogar Jahre – belasten werden. Der größte Schock ist aber jener, der von den Zentralbanken ausgelöst wurde, indem sie ihren Kampf gegen die Inflation verstärkt haben. Allgemein ist bekannt, dass Geldpolitik mit langen und variablen Verzögerungen wirkt, und ich glaube, dass wir erst in ein paar Quartalen die vollen wirtschaftlichen Auswirkungen der Straffung spüren werden.
Zugleich sind die Rohstoffpreise seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine in die Höhe geschnellt, was die Kaufkraft der Haushalte und Unternehmen schwächt und den Druck auf die Zentralbanken erhöht, ihre Geldpolitik zu straffen. Noch wichtiger aber ist, dass die Entscheidung Russlands, den Gasexport nach Europa zu drosseln, Europa zwingen wird, seinen Energieverbrauch zu rationieren. Auch wenn dies vor allem im kommenden Jahr spürbar sein wird, gehen wir davon aus, dass uns einige Jahre lang weniger Energie zur Verfügung stehen wird.
Keine Energie bedeutet kein Wachstum und so gehe ich davon aus, dass Europa in eine schwere Rezession rutscht. Da die Europäische Union rund 17 % des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet, hat ein Abschwung in der Region Auswirkungen auf die ganze Welt. Außerdem stellt die Rationierung von Energie einen hochkomplexen Schock dar: Wegen der gedrosselten Produktion könnten die Lieferketten zusätzlich ins Stocken geraten – was wiederum für zusätzlichen Preisdruck sorgt.
Derweil wird das Wachstum in China weiterhin durch die Null-Covid-Strategie der Regierung und deren Entscheidung, endlich die Probleme am Immobilienmarkt anzugehen, belastet. Einschließlich aller verbundenen Bereiche erwirtschaftet der Immobilienmarkt 25 bis 30 % des chinesischen BIP. Daher werden eine Beschneidung und strengere Regulierung dieses riesigen Marktes mehrere Jahre spürbar sein. Ich glaube, dass die chinesische Wirtschaft kein hohes Wachstum erzielen wird, bis dieser Prozess weiter fortgeschritten ist. Die Verlangsamung des chinesischen Wachstums wird sich weltweit bemerkbar machen, insbesondere aber in den rohstoffproduzierenden Ländern.
In den USA hat Fed-Chef Jerome Powell keinen Hehl daraus gemacht, dass er für Preisstabilität sorgen wird – auch, wenn die Wirtschaft dadurch in eine Rezession abgleitet. Meiner Meinung nach ist das Ausmaß der geldpolitischen Straffung durch die Fed so groß, dass die US-Wirtschaft in eine von der Zentralbank verursachte Rezession geraten könnte.
Das Inflationsgeschehen könnte sich verändern
Was die Inflation betrifft, so habe ich die Hoffnung, dass sich das Bild allmählich verändert. Ich halte eine Rezession für sehr wahrscheinlich. Zugleich sinken die Rohstoffpreise wieder. Verschiedene Hochfrequenzdaten deuten darauf hin, dass die Störungen der globalen Lieferketten allmählich nachlassen. Dies wird mit der Zeit die Verfügbarkeit von Waren verbessern, was niedrigere Preise zur Folge hat. Die Zentralbanken – allen voran die Fed – werden zwar nicht überstürzt auf geringfügig bessere Inflationsdaten reagieren. Doch mit der Zeit dürfte die Kombination aus langsamerem Wachstum und niedrigerer Inflation den Zentralbanken wieder etwas Spielraum verschaffen. Doch leider ist es noch nicht so weit.
Was die Geldpolitik betrifft, so haben die Zentralbanken aus aller Welt die jährliche Konferenz in Jackson Hole mit einem klaren Konsens verlassen: Jetzt handeln, damit sich die hohen Inflationserwartungen nicht verfestigen. In der Folge wurde die Zinsstraffung aggressiv beschleunigt. Ich glaube allerdings, dass die Zentralbanken über das Ziel hinausschießen und halte es für so gut wie sicher, dass sie ihren Kurs wieder ändern müssen, wenn sich herausstellt, dass sie eine weltweite Rezession ausgelöst haben. Wann ein solcher Kurswechsel stattfinden wird, steht in den Sternen. Letztlich haben die Zentralbanken ja eben erst auf eine restriktive Politik umgeschwenkt. Daher dürfte es nicht klug sein, untätig abzuwarten, bis sich das Blatt erneut wendet.
Was bedeutet das für die Finanzmärkte? Auf die Gefahr hin, einen sehr komplexen Sachverhalt zu vereinfachen, lässt sich die Situation so zusammenfassen: Der Preis des Geldes (die Zinsen) steigt, während gleichzeitig das Wachstum sinkt. Die Risikomärkte aber werden von billigem Geld und hohem Wachstum angetrieben. Daher ist das aktuelle Umfeld für Risikoassets alles andere als rosig. Ich gehe davon aus, dass der US-Dollar und die Kreditspreads weiter steigen und die Aktienmärkte ihre Talfahrt fortsetzen – wenngleich etwas langsamer als noch zu Jahresbeginn.
Allerdings braucht es erfahrungsgemäß nur den leichtesten Hauch an positiven Nachrichten, damit die Risikomärkte wieder auf Erholungskurs gehen. Wenn die Inflation ihren Höhepunkt erreicht und sich das Wachstum in dem Maße verlangsamt, wie ich es erwarte, werden die Zentralbanken dann ihren Kurs korrigieren? Der breite Konsens der Zentralbanken auf der Konferenz in Jackson Hole macht deutlich, dass es dafür noch zu früh ist – doch vielleicht wendet sich das Blatt in den kommenden Quartalen. Wichtig ist zudem, dass sinkende Rohstoffpreise ein wesentliches Element für eine Erholung der Wirtschaft sind. Niedrigere Rohstoffpreise werden mit der Zeit die Kaufkraft der Verbraucher wieder stärken und Druck von den Zentralbanken nehmen.
Der Sturm über den Finanzmärkten hat sich also noch nicht gelegt. Ich gehe davon aus, dass es noch ein oder zwei gescheiterte Anläufe ähnlich der diesjährigen Sommer-Rally geben wird, bevor der Tiefpunkt des Zyklus erreicht ist. Dieser könnte dann erreicht sein, wenn entweder die globalen Zentralbanken eine entscheidende Wende vollziehen oder wenn sich die Hochfrequenzdaten in Bezug auf das Wachstum klar verschieben.
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Oktober 2022 / INVESTMENT INSIGHTS
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