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Arif Perspectives

Die derzeitigen Inflationserwartungen am Markt sind absurd

Aus der Praxis
Autor
Arif Husain
Head of Fixed Income and Chief Investment Officer, Fixed Income 
Auf den Punkt gebracht
  • Meiner Ansicht nach wird die Kerninflation auf rund 2% sinken. Mein längerfristiger Ausblick ist jedoch weniger optimistisch, da ich davon ausgehe, dass sich die Inflation wieder beschleunigen wird. 
  • Wenngleich die künstliche Intelligenz (KI) die Produktivität langfristig enorm steigern wird, wird sie meines Erachtens kurzfristig eine inflationäre Wirkung haben, da ihre Einführung Zeit und Arbeitsaufwand erfordert.
  • China ist für die Inflation die große Unbekannte. Ein Wachstum der chinesischen Binnennachfrage würde die Exportpreise in die Höhe treiben und die Inflation bei den Handelspartnern Chinas steigen lassen. 

Bitte heben Sie die Hand, wenn Sie ernsthaft geglaubt haben, dass die US-Gesamtinflation gegenüber dem Vorjahr, gemessen am Verbraucherpreisindex (VPI), im Juni 2022 bei 9,1% ihren Höchststand erreichen und bis Anfang 2023 auf einem Niveau von über 6% verharren würde. Es dürften nur sehr wenige Hände zu sehen sein – die Inflationsprognosen für die Jahre 2021 bis 2023 waren äußerst ungenau. Selbst viele Vertreter der Zentralbanken und die meisten Ökonomen lagen falsch und waren gezwungen, langjährige Annahmen zur Inflation zu überdenken. Und bitte nehmen Sie Ihre Hand herunter, wenn Sie das Wort „vorübergehend“ auch nur geflüstert haben.

Die Break-even-Spreads – der beste am Markt verfügbare Maßstab für die erwartete Gesamtinflation – für inflationsgeschützte US-Staatsanleihen (TIPS) lagen Mitte März 2024 zwischen 2,44% (5-jährige TIPS) und 2,28% (30-jährige TIPS)1.  Vor dem Hintergrund der Inflationsschwankungen, die seit 2020 zu verzeichnen waren, erscheint dies einfach absurd. Angesichts der enormen Bandbreite, in der sich die VPI-Gesamtinflation in den letzten Jahren bewegt hat, wären bei den Inflationserwartungen zumindest gewisse Unterschiede zwischen den einzelnen TIPS-Laufzeiten zu erwarten. Bedeutet dies, dass die Marktteilnehmer keine Vorstellung davon haben, auf welchem Niveau sich die Inflation einpendeln wird? Oder gehen sie davon aus, dass die Inflation auf wundersame Weise verschwinden wird?

Wird der Abwärtstrend der Inflation anhalten?

Die Einschätzungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der Inflationsentwicklung gehen derzeit nicht annähernd so weit auseinander wie 2021 und Anfang 2022, als die Prognosen entweder von einer „vorübergehenden“ (so auch die Meinung der Zentralbanken der meisten Industrieländer) oder einer „anhaltenden“ Inflation ausgingen. Natürlich war die Inflation im Laufe des Jahres 2023 tendenziell rückläufig. Die meisten Kommentatoren erwarten, dass sich diese Entwicklung 2024 fortsetzen wird, sodass die US-Notenbank Fed und andere Zentralbanken im Jahresverlauf mit Zinssenkungen beginnen können.

Doch zu Beginn des Jahres 2024 gab es Anzeichen dafür, dass die Weltwirtschaft nicht annähernd so schnell an Schwung verliert wie erwartet. Dies nährte die Sorge, dass erneut inflationäre Kräfte entstehen könnten. Ein typisches Beispiel: Die US-amerikanischen VPI-Daten für Januar und Februar fielen teilweise über Erwarten hoch aus, und die Entwicklung der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft übertraf im Januar deutlich die Konsenserwartungen hinsichtlich der Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze (obwohl diese Zahl später nach unten korrigiert wurde).

Inflation dürfte sich nach Annäherung an das Fed-Ziel wieder beschleunigen

Meiner Ansicht nach wird die Kerninflation auf rund 2% sinken. Das ist der Zielwert für mehrere Zentralbanken, darunter die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank. Mein längerfristiger Ausblick ist jedoch weniger optimistisch, da ich davon ausgehe, dass sich die Inflation wieder beschleunigen wird. 

Die künstliche Intelligenz (KI) wird die Produktivität enorm steigern, zumindest auf längere Sicht. Doch die Implementierung von KI-Anwendungen in Unternehmensprozesse in der Industrie und im Dienstleistungssektor wird Zeit und zusätzliche Arbeitskräfte erfordern, was zu höheren Kosten führt. Daher erwarte ich, dass die KI kurzfristig eine inflationäre Wirkung haben wird, bevor die Wirtschaft von ihren längerfristigen Produktivitätsvorteilen profitieren kann. Viele der Hinweise, die unsere Analysten in Hunderten von Gesprächen mit Unternehmen erhalten, bestätigen diese Einschätzung. 

Eine weitere große Unbekannte für die Inflation ist China. Aufgrund der schwachen Entwicklung seiner Binnennachfrage hat China die Disinflation (und in einigen Fällen sogar die Deflation) seiner Güterpreise über den Welthandel exportiert. Dies hat erheblich dazu beigetragen, den Preisdruck weltweit abzuschwächen. 

Ein Anstieg der Nachfrage innerhalb Chinas – möglicherweise ausgelöst durch fiskalpolitische Stimulierungsprogramme, die durch die kürzlich angekündigte Sonderemission neuer langfristiger Staatsanleihen des Landes finanziert werden – würde diesen Einflussfaktor jedoch umkehren, sodass die Exportpreise steigen dürften. Diese Prognose dürfte sich zwar nicht als Basisszenario eignen, doch die entscheidende Schlussfolgerung lautet, dass die Marktstimmung gegenüber China überwiegend negativ ist. Daher ist eher mit positiven Überraschungen zu rechnen. Berücksichtigt man dann noch die potenzielle inflationäre Wirkung zusätzlicher Zölle, mit denen angesichts der politischen Entwicklung in den USA zu rechnen ist, besteht ein klares Risiko für einen Inflationsanstieg.

Die Zusammenarbeit zwischen Kollegen mit unterschiedlichen Ansichten ist eines der Markenzeichen des Anlageprozesses von TRPA2 . Ich bin zwar besorgt über die Risiken einer erneuten Beschleunigung der Inflation, doch verschiedene Untersuchungen dämpfen diese Erwartungen. Blerina Uruçi, Chief U.S. Economist in unserer Fixed Income Division, beurteilt die längerfristigen Inflationsaussichten optimistischer.

 

Gedämpfte Erwartungen: Das Potenzial für günstigere Inflationsaussichten

In der Vergangenheit war es unmöglich, die Inflation rasch zu verringern, ohne eine Rezession oder einen starken negativen Schock auf dem Arbeitsmarkt auszulösen. Daher erwarte ich, dass der Weg zu einer Inflation von 2% lang und steinig sein wird. Die Nachfrage nach Arbeitskräften hat sich im Vergleich zum letzten Jahr jedoch deutlich verlangsamt. Dies wird aus meiner Sicht den Druck des Arbeitsmarkts auf die Inflation weiter verringern und dazu beitragen, die Inflation auf das Zielniveau der Fed zu senken, das Anfang 2025 erreicht werden dürfte.

Fokus auf die Wohnkosteninflation und ihre verzögerten Auswirkungen

Mit einem Anteil von rund 30% am Verbraucherpreisindex bilden die Wohnkosten eine wichtige Inflationskomponente. Daher werden weitere Fortschritte bei der Senkung der Mietinflation notwendig sein, um sicherzustellen, dass sich die Inflation in den USA dem Zielwert der Fed annähert. Das im VPI enthaltene Maß für Wohnimmobilien reagiert mit großer Verzögerung auf zeitnähere Maße für Hauspreise und Marktmieten. Wie verschiedene Untersuchungen gezeigt haben, können diese Verzögerungen mehr als ein Jahr betragen. Die Daten des privaten Sektors zu Mieten und Hauspreisen signalisieren, dass die Mietinflation weiter zurückgehen dürfte.  

Entscheidend ist aber, mit welcher Geschwindigkeit dies geschehen wird. Diese Frage lässt sich natürlich nur schwer beantworten. Einige Modelle, die auf Indizes des privaten Sektors für den Wert von Wohnimmobilien und das Mietniveau basieren, legen nahe, dass die Wohnkosteninflation im Jahr 2024 bei über 4% verharren könnte. Dies würde den Rückgang der Gesamtinflation auf 2% erheblich verzögern. 

– Blerina Uruçi, Chief U.S. Economist 

Ich bin zwar der Meinung, dass das aktuelle Umfeld einer Wiederbeschleunigung der Inflation Vorschub leistet, denke aber auch an Blerina Uruçis Inflationsprognose und beobachte, ob der Abwärtstrend der Inflation anhält. Ich bin überzeugt, dass diese Art der Zusammenarbeit und die Berücksichtigung unterschiedlicher Ansichten zu besseren Anlageentscheidungen unserer Portfoliomanager führen können.

 

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